Judith Ebersoll
Projektleitung Servicestelle Teilzeit-Ausbildung, Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e. V.
Projektleitung Servicestelle Teilzeit-Ausbildung, Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e. V.
Alle Menschen sollen die Chance haben, eine betriebliche Ausbildung zu absolvieren, denn eine fundierte Ausbildung ermöglicht die eigene Existenzsicherung. Für manche ist der Weg zum Berufsabschluss nur in Teilzeit möglich. Deshalb ist Teilzeitausbildung aus meiner Sicht ein Garant für gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit. Sie stärkt zudem die Vielfalt, da insbesondere Frauen, Ältere und Menschen mit geringeren Bildungsabschlüssen – und darunter insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund – von dieser Möglichkeit profitieren. Potenziale der Teilzeitausbildung und damit einen Mehrwert für die Arbeitswelt insgesamt, sehe ich vor allem in der Aktivierung der sogenannten „Stillen Reserve“ und der Integration von Menschen mit einem Sprachförderbedarf. Eine weitere Möglichkeit ist sicherlich die Umwidmung von Vollzeit - in Teilzeitausbildungen, um einen Ausbildungsabbruch zu verhindern.
Bisher wird die Teilzeitausbildung nur wenig genutzt– zu wenige Ausbildungsinteressierte und zu wenige Betriebe kennen diese Option. Oft fehlen den Unternehmen die notwendigen Informationen und praktischen Konzepte um den Schritt zur Teilzeitausbildung in ihrem Haus zu wagen. So gibt es beispielsweise Vorbehalte wegen des höheren organisatorischen Aufwands. Allerdings spüren wir bei den Betrieben einen erhöhten Druck bei der Suche nach Fachkräften, weshalb sie die Teilzeitausbildung interessant finden. Dadurch möchten sie einen erweiterten Bewerber/-innenkreis ansprechen. Bei den Ausbildungsinteressierten stellen wir Unsicherheiten fest, ob und inwiefern sie sich eine Teilzeitausbildung zutrauen. Spezifische Zielgruppen der Teilzeitausbildung können verschiedene Förder- und Unterstützungsbedarfe haben. Wir sehen daher die Notwendigkeit einer (sozial)pädagogischen Begleitung bei Teilzeitausbildungen, ggf. auch über mehrere Jahre hinweg. Die pädagogische Begleitung hat bereits in der Vorlaufphase einen hohen Stellenwert und unterstützt den Aufbau gelingender Rahmenbedingungen für eine Teilzeitausbildung. Ein solcher langfristiger Ansatz beginnt mit der gezielten beruflichen Entwicklung der Person durch eine Stärkenanalyse, der persönlichen Stabilisierung für eine Teilzeitausbildung und der Begleitung während der ersten 6 Monate der Ausbildung. Insbesondere für bestimmte Zielgruppen, wie (Allein-)Erziehende und/oder Menschen mit Migrationshintergrund, ist eine solche pädagogische Begleitung von großer Wichtigkeit.
Wirtschaft integriert kann die beschriebene (sozial)pädagogische Begleitung in idealer Weise gewährleisten. So kann z.B. bei der BOplus die pädagogische Begleitung bereits in der Vorlaufphase erfolgen. Bei Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund, insbesondere bei Frauen, kann die (sozial)pädagogische Begleitung dazu beitragen, Barrieren abzubauen und die Möglichkeit einer Ausbildung überhaupt erst zu eröffnen. Dies kann bedeuten, kulturelle Unterschiede zu verstehen, Unterstützung bei der Integration zu bieten, Orientierung im fremden Bildungssystem zu geben und ggf. Vorbehalte, z.B. zur Ausbildung und Berufstätigkeit von Müttern, abzubauen. Als Servicestelle stehen wir zudem im engen Austausch mit den pädagogischen Mitarbeitenden in den Programmen von Wirtschaft integriert. Sie melden uns ihren Bedarf an Teilzeitausbildungsstellen und wir unterstützen bei der Unternehmensakquise. Wir machen aber keine 1:1-Vermittlung, sondern sehen uns in der Funktion eines „Türöffners“. Die pädagogische Begleitung und Unterstützung beim Bewerbungsprozess obliegen den Mitarbeitenden von Wirtschaft integriert.
Ich kann Ihnen hier zwei Visionen nennen, die das gesamte Team der hessenweiten Servicestelle Teilzeit-Ausbildung antreiben. Zum einen möchten wir die Möglichkeit der Teilzeitausbildung einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen. Dies gelingt uns nur mit vielen Partner/-innen, wie beispielsweise dem hessenweiten TAff-Netzwerk (Teilzeit-Ausbildung finden und fördern). Darüber hinaus wünschen wir uns weitere öffentlichkeitswirksame Beiträge und Plattformen. Zum anderen möchten wir erreichen, dass Unternehmen selbstverständlich ihre Ausbildungsstellen auch in Teilzeit ausschreiben und/oder auf ihrer Website mit dem kostenfreien Button „Teilzeitausbildung…auch bei uns möglich“ ihre Offenheit signalisieren.
Ich wünsche ihnen Mut, den Schritt zu wagen. Zum einen möchte ich Ausbildungsinteressierte ermutigen, sich auf eine Ausbildung in Teilzeit zu bewerben, selbst wenn diese nicht explizit in Teilzeit ausgeschrieben ist. Viele Unternehmen haben uns zurückgemeldet, dass sie eine Teilzeitausbildung einrichten würden, wenn die Person sie überzeugt. Als expliziten Tipp möchten wir Interessierten an einer Teilzeitausbildung mit auf den Weg geben, bei einer Bewerbung den Flyer der Servicestelle für Unternehmen mitzuschicken. So können Unternehmen direkt über die Unterstützungsmöglichkeiten informiert werden.
Den Mut wünsche ich ebenso Unternehmen, Ausbildungsstellen in Teilzeit auszuschreiben und damit einen erweiterten Kreis von Bewerber/-innen zu erreichen. Menschen, die sich für eine Teilzeitausbildung entscheiden, bringen oft ein Plus an Lebenserfahrung, Organisationstalent, Pflichtbewusstsein und Engagement mit und bleiben dem Unternehmen über die Ausbildung hinaus langfristig erhalten. Mit dem Angebot einer Teilzeitausbildung positionieren sich Unternehmen als attraktive, moderne und flexible Arbeitgeber.
Das Projekt Wirtschaft integriert wird gefördert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, des Landes Hessen, der Agenturen für Arbeit sowie der Jobcenter mit Unterstützung der Bildungseinrichtungen des Handwerks.
Hotline
06421 30447-28
© Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e. V.